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Shumona Sinha Das russische Testament Shumona Sinha
Das russische Testament. Roman.
Aus dem Französischen von Lena Müller.
Edition Nautilus 2021, 182 Sei­ten
ISBN 978-3-96054-260-5

Tanias Vater ist Buch­händ­ler, der vor allem russische Li­te­ra­tur an­bie­tet, die ins Ben­ga­li­sche über­setzt worden ist. Sie lei­det unter ih­rer schikanösen und lieb­lo­sen Mut­ter und kap­selt sich früh ab. Als Stu­den­tin ge­rät sie in Kon­takt zu kom­mu­nis­ti­schen Stu­den­ten, be­legt ei­nen Rus­sisch­kurs und stößt auf den Verlag Ra­du­ga und des­sen Ver­le­ger Lew Kljatsch­ko, der in den 20er und 30er Jahren in Pe­ters­burg (Le­nin­grad) vor al­lem sur­rea­lis­ti­sche Kin­der­bü­cher pu­bli­zier­te, die zu­neh­mend der Zen­sur zum Op­fer fie­len. Der Verlag musste An­fang der 30er Jahre schlie­ßen, Kljatsch­ko starb wenige Jah­re spä­ter.

Tania erfährt, dass eine Toch­ter Kljatschkos, Adel, in ei­nem Pe­ters­bur­ger Altenheim lebt, sie schreibt ihr einen lan­gen Brief. Während der Lek­tü­re die­ses Brie­fes erinnert sich Adel an ihren Vater und ihr ei­ge­nes Le­ben.

Die Lebensgeschichten der Frau­en, wie auch des Ver­le­gers Kljatsch­ko, spiegeln die Wirren der je­wei­li­gen Zeit in Ben­ga­len und der Sow­jet­union, West­ben­ga­len wur­de über mehrere Jahr­zehn­te von der kom­mu­nis­ti­schen Partei re­giert, es be­stand eine enge kulturelle Ver­bin­dung. Die Ge­schich­te des Ver­lags und des Ver­le­gers ist au­then­tisch, bei­de sind his­to­risch verbürgt, die kul­tu­rel­le Ent­wick­lung in der Sow­jet­union von den frü­hen 20er Jahren, in de­nen Experimente al­ler Art ei­ne künst­le­ri­sche Vielfalt hervor brach­ten, bis zur Dok­trin des so­zia­lis­ti­schen Rea­lis­mus und dem sta­li­nis­ti­schen Terror, grei­fen massiv in die Bio­gra­fien der Pro­ta­go­nis­ten ein.

Mein Verhältnis zu dem Ro­man ist zwiespältig: Tanias Part er­schien mir sprach­lich aus­u­fernd blu­mig und klischee­haft, wäh­rend die Re­fle­xio­nen und Er­in­ne­run­gen Adels mich be­rührt und zum Nach­den­ken ge­bracht haben.

Shumona Sinha wurde 1973 in Kal­kut­ta, West­ben­ga­len, ge­bo­ren und lebte dort bis 2001. In diesem Jahr erhielt sie eine Stel­le als Eng­lisch­leh­re­rin in Paris, später ar­bei­te­te sie dort als Dol­met­sche­rin. Sie wur­de mehrfach für ih­re Arbeiten aus­ge­zeich­net, un­ter anderem mit dem "In­ter­na­tio­na­len Kul­tur­preis" in Deutsch­land.

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29. September 2023

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