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Boris Sawinkow Das fahle Pferd. Roman eines Terroristen Boris Sawinkow
Das fahle Pferd. Roman eines Ter­ro­ris­ten.
Mit einem Dossier zu Boris Sawinkow von Alexander Nitz­berg und Jörg Ba­be­rowski.
Galiani Berlin 2015, 288 Sei­ten
ISBN 978-3-86971-114-0

Boris Sawinkow (1879 - 1925) war Mit­glied der So­zial­re­vo­lu­tio­nä­ren Par­tei Russlands und ak­tiv in de­ren bewaffneter Or­ga­ni­sa­tion, die für eine Viel­zahl von Attentaten ge­gen den Zar und andere rus­si­sche Amts­trä­ger verantwortlich war. Er war be­tei­ligt an dem töd­lichen An­schlag auf den Groß­fürsten Sergej Alexan­drowitsch Ro­ma­now, den Ge­ne­ral­gou­verneur von Moskau. Die­ses Atten­tat ist die Blau­pau­se für den Ro­man "Das fah­le Pferd".

Ein Gruppe von fünf Mit­glie­dern bereitet einen Anschlag auf den Generalgouverneur ei­ner Stadt vor. Die Mitglieder un­ter­schei­den sich radikal in ih­ren Persönlichkeiten und Mo­ti­ven. Re­li­giöse, po­li­ti­sche, so­zi­a­le und persönliche Grün­de treiben sie an, um den Zar und seine Repräsentanten ver­nich­ten zu wol­len. Nur George, der Kopf der Grup­pe, scheint oh­ne Lei­den­schaft, ihm ist der Ter­ror Selbst­zweck.

Mehrere Versuche scheitern, bis es schließlich gelingt, den Gou­ver­neur durch den Wurf ei­ner Bombe in seine Drosch­ke zu töten. Danach löst sich die Grup­pe auf, einige Mit­glie­der wer­den gefasst und zum Tode ver­ur­teilt.

Der Text ist als Tagebuch Georges verfasst, das die Vor­be­rei­tun­gen auf den An­schlag be­schreibt, die Aus­spähungen des Gou­ver­neurs, die Ge­sprä­che der Mitglieder, ihr Ver­hal­ten ge­gen­über ihren Ver­fol­gern und die Maß­nah­men, die sie er­grei­fen nach meh­re­ren miss­lun­ge­nen An­schlä­gen. Knap­pe For­mu­lie­run­gen, eine har­te Spra­che, die den zy­ni­schen Ni­hi­lis­mus Georges nicht besser do­ku­men­tie­ren könnte.

Sawinkow ist übrigens nach dem erfolgreichen Anschlag ge­gen den General­gou­ver­neur fest­ge­nom­men und zum Tode ver­ur­teilt worden. Ihm gelang je­doch die Flucht nach Paris, wo er sich in Exil- und li­te­ra­rischen Kreisen bewegte und meh­re­re autofiktionale Ro­ma­ne schrieb. Gefördert wur­de er da­bei unter anderem von Dmitri Mereschkowski. "Das fah­le Pferd" erschien 1913 erst­mals in der voll­stän­di­gen Fas­sung, die erste Aus­ga­be von 1909 war er­heb­lich ge­kürzt.

Sawinkow kehrte 1917 nach Russ­land zurück und schloss sich – nach einer kurzen Kar­ri­e­re in der Regierung Ke­rens­kis – anti­bol­sche­wis­ti­schen Grup­pen an, mit denen er den Sturz der sowjetischen Re­gie­rung be­trieb. 1922 be­gab er sich er­neut ins Exil nach Pa­ris, wur­de aber 1924 durch den sow­je­ti­schen Ge­heim­dienst in die Sow­jet­union ge­lockt, wo er um­ge­hend fest­ge­nom­men und ins Ge­fäng­nis ge­wor­fen wurde. Ein Jahr spä­ter stürzte er sich aus ei­nem Fenster im 5. Stock des Ge­fäng­nis­ses und fand da­bei den Tod.

Das "Dossier zu Boris Sa­win­kow" besteht aus drei Teilen:

-Jörg Baberowksi: Das Hand­werk des Tötens. Boris Sa­win­kow und der russische Ter­ro­ris­mus. (Man könnte mei­nen, der Text wäre in­mit­ten des "Deut­schen Herbstes" ver­fasst wor­den.)

-Alexander Nitzberg: Boris Sa­win­kow – Die fleisch­ge­wor­de­ne Vi­sion Dostojewskis. (Sehr hilf­reicher Text zum Ver­ständ­nis Sawinkows und des Mi­li­eus, das im aus­ge­hen­den 19. und beginnenden 20. Jahr­hun­dert so viele Men­schen dazu brachte, sich Or­ga­ni­sa­tio­nen an­zu­schlie­ßen, de­ren Mit­tel zur Ver­änderung der Ge­sell­schaft die Ge­walt war.)

-Boris Sawinkow: Aus den Er­in­ne­run­gen an Iwan Kal­ja­jew. (Kal­ja­jew war der Bom­ben­wer­fer, der den Ge­ne­ral­gou­verneur tö­te­te.)

Die Übersetzung von Ale­xan­der Nitz­berg beruht auf der ersten voll­stän­di­gen Ausgabe des Ro­mans, die 1913 in Frank­reich er­schie­nen war. Zeit­gleich mit der ersten rus­sisch­sprachigen Aus­ga­be von 1909 war bereits ei­ne deut­sche Übersetzung von Aage Ma­de­lung er­schie­nen, al­ler­dings mit un­kla­rer Au­to­ren­angabe und ei­ni­gen Kür­zun­gen.

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16. Juni 2023

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