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Autoren Glossen Lyrik

Thomas Freller: Magier, Fälscher, Abenteurer Thomas Freller
Magier, Fälscher, Aben­teu­rer.
Cagliostro, Vella, Saint-Ger­main.
Artemis & Winkler 2006, 328 Sei­ten
ISBN 3-538-07123-3

Das 18. Jahrhundert gilt ge­mein­hin als das der Auf­klä­rung und Ver­nunft. Und gleich­zei­tig hat es sel­ten der­art vie­le erfolgreiche Schar­la­ta­ne und obskure Be­trü­ger ge­ge­ben, die bis in die Spit­zen der Ge­sell­schaft ihr Un­we­sen trei­ben konn­ten. Orien­tie­rungs­lo­sig­keit in ei­ner sich ver­än­dern­den Welt be­güns­tig­te die Kar­rie­ren von Wun­der­hei­lern, Al­che­mis­ten und Ge­heim­bünd­lern. Rand­fi­gu­ren der Gesellschaft wer­den in Po­si­tio­nen ge­spült, die unter an­de­ren Um­stän­den kaum vor­stell­bar wären. Wäh­rend in den li­te­ra­ri­schen Salons der ra­tio­na­le Dis­kurs gepflegt wird, bil­det sich im Bereich zwi­schen Wissenschaft und Ma­gie ein Markt, der von ei­ni­gen cha­ris­ma­ti­schen Ge­stal­ten ex­zes­siv bedient wird. Zu ih­nen zäh­len Cagliostro, der Graf von Saint-Ger­main und Giu­sep­pe Vel­la, der mit sei­nen Über­set­zun­gen zur ara­bi­schen Ge­schich­te Si­zi­liens und dem Codex Mar­ti­nia­nus ei­ne Re­pu­ta­tion erlangte, die sich am En­de als auf Fäl­schun­gen ba­sie­rend er­wies.

Comte de Saint-GermainDie Biografie des Gra­fen von Saint-Germain (ca. 1710 – 1784), alias Graf Welldone, alias Fürst Ra­koy usw. ist nicht ein­deu­tig zu fas­sen. Er tritt in die Ge­schich­te als fer­ti­ge Ge­stalt, alles davor bleibt ne­bu­lös. Ist es über­haupt im­mer die sel­be Per­son, die in den Über­lie­fe­run­gen ihre wun­der­sa­men Fä­hig­kei­ten an den eu­ro­pä­ischen Höfen vor­stellt und lu­kra­tiv zu ver­wer­ten sucht? Oder gibt es Tritt­brett­fah­rer, die sich sei­nes Na­mens und Rufs be­die­nen, um selbst ein Stück des Ku­chens ab­zu­be­kom­men; auch das ist nicht ein­wand­frei zu klä­ren. Tho­mas Freller ver­folgt ei­ni­ge dieser Spuren oh­ne ab­schlie­ßen­des Er­geb­nis.

Neben den außer­or­dent­lichen musi­ka­li­schen Fä­hig­kei­ten, die dem Grafen bescheinigt wur­den, wa­ren es vor al­lem sei­ne Ver­su­che, mit neu­ar­ti­gen Far­ben ei­ne wirt­schaft­li­che Ba­sis auf­zu­bau­en, für die er Geld­ge­ber suchte und im­mer wieder auch fand. Über sein Alter wur­de spekuliert, er be­rich­te­te von Er­eig­nis­sen, die seit hunderten von Jahren ver­gan­gen wa­ren in einer Art, als wä­re er un­mit­tel­ba­rer Au­gen­zeu­ge gewesen. Sei­ne Kennt­nis­se auf na­he­zu allen Wis­sens­ge­bie­ten waren enorm, sei­ne Ge­sprächs­part­ner an den Höfen des eu­ro­pä­ischen Adels waren be­geis­tert und spen­da­bel. Ger­ne trat er auch als Heiler mit selbst ge­misch­ten Pul­vern und Sal­ben auf, mehr­mals rich­te­te er La­bo­re ein, um alchemistische Ex­pe­ri­men­te durch­zu­füh­ren, die Erfolge blieben über­schau­bar. Als er sich in die po­li­ti­schen Ge­schi­cke Frank­reichs un­ter Lud­wig XV ein­misch­te, musste er flie­hen und be­gann Kar­rie­ren als ver­meint­li­cher Frei­mau­rer und Ro­sen­kreu­zer. Sein letzter Mä­zen, Karl von Hes­sen-Kas­sel, selbst Grün­der mehrerer Frei­mau­rer­lo­gen, richtete ihm aber­mals ein Al­che­mis­ten­la­bor ein und fi­nan­zier­te die Grün­dung ei­ner Sei­den­fa­brik, in der Saint-Ger­main wie­der mit sei­nen neu­ar­ti­gen Farben ex­pe­ri­men­tie­ren konnte. We­ni­ge Jah­re später starb er eben­dort.

CagliostroAlessandro Graf von Cag­lios­tro (1743 – 1795), der als der Klein­kri­mi­nel­le Giu­sep­pe Bal­sa­mo seine Kar­rie­re in Pa­ler­mo be­gann, schaff­te es bis an die höchs­ten Krei­se sei­ner Zeit, wo er die Kunst der Ver­e­de­lung von Ju­we­len, di­ver­se Heil- und Ver­jün­gungs­mit­tel, ok­kul­te Er­kennt­nis­se un­ter­schied­lichs­ter Art und die Grün­dung ei­nes neu­en Zweigs der Frei­mau­re­rei (der "ägyp­tischen") anpries und da­mit seinen auf­wän­di­gen Le­bens­stil fi­nan­zier­te. Wur­den die Ver­dachts­mo­men­te gegen sei­ne Küns­te zu groß, wech­sel­te er den Stand­ort, seine Rei­sen führ­ten ihn quer durch Eu­ro­pa bis an den Za­ren­hof in St. Pe­ters­burg und von dort wei­ter über di­ver­se Zwi­schen­sta­tio­nen (in Frankreich ge­riet er in die Tur­bu­len­zen um die "Hals­band­affai­re") bis nach Rom, wo er 1789 fest­ge­nom­men und der Rö­mi­schen In­qui­si­tion über­stellt wurde. Ein um­fang­rei­ches "Ge­ständ­nis", in dem er die kirch­li­chen An­schul­di­gun­gen ge­gen die Frei­mau­re­rei be­stä­tig­te, ver­schon­te ihn vor der To­des­stra­fe, zu der er – un­ter an­de­rem – wegen Häresie ver­ur­teilt worden war. Die letzten 6 Jah­re sei­nes Lebens ver­brach­te er in der Engelsburg und einer Festung in San Leo, wo er nach 2 Schlag­an­fäl­len starb.

Giuseppe VellaGiuseppe Vella (1749 – 1814), ge­bo­ren und auf­ge­wach­sen auf Mal­ta, wechselte als Kap­lan nach Si­zi­lien, wo er Mu­ham­mad Ibn Uth­man, dem Ge­sand­ten des Kö­nigs von Ma­rok­ko be­geg­ne­te, was sei­nem Le­ben einen neu­en Ver­lauf gab. Der Ge­sand­te in­te­res­sier­te sich für die ara­bi­sche Ge­schich­te Si­zi­liens, die bis dato kaum er­forscht war. Vel­la, der des Ara­bischen gar nicht mächtig war, des­sen mal­te­si­sche Spra­che aber da­mit ver­wandt ist, begann sich in die Thematik ein­zu­ar­bei­ten und ent­deck­te bald eine An­zahl von ara­bi­schen Schrif­ten, die diese historische Leer­stel­le füllen sollten. Sei­ne Über­set­zun­gen ver­schaff­ten ihm in­ter­na­tio­na­les Re­nom­mee. In­zwi­schen zum Abt be­för­dert, ent­deck­te Vella sieb­zehn ver­lo­re­ne Bü­cher des Li­vius und die Kor­res­pon­denz zwi­schen den nor­man­ni­schen Herr­schern Si­zi­liens und den Ka­li­fen in Kai­ro, die die zu der Zeit praktizierten Herr­schafts­rech­te aus his­to­ri­schen Grün­den in Fra­ge stell­ten. Er geriet zwi­schen die Fron­ten, sei­ne Ver­öf­fent­li­chun­gen erregten zu­neh­mend den Ver­dacht der Fäl­schung, ehe­ma­li­ge und mäch­ti­ge Un­ter­stüt­zer wen­de­ten sich von ihm ab und wur­den zu Geg­nern. Es kam zu ei­nem langwierigen Pro­zess ge­gen Vella, an des­sen Ende ei­ne Ver­ur­tei­lung zu 15 Jah­ren Ker­ker­haft, der Entzug der Abts­wür­de und die Ein­zie­hung seiner Güter stand. In­te­res­san­ter­wei­se ist Vellas "Ge­schich­te der Araber in Sizilien und Si­zi­lien unter der Herr­schaft der Araber" in neu­er Auf­la­ge im ak­tu­el­len Buch­han­del er­hält­lich.

Thomas Freller (*1964) gilt als Spe­zia­list für die Ge­schich­te des Mit­tel­meer­raums und ist als Do­zent an der Uni­ver­si­ty of Mal­ta, Lektor und Pu­bli­zist tä­tig. Sein hier be­spro­che­nes Buch lehnt sich eng an die his­to­ri­schen Quellen, wo­bei die Wi­der­sprü­che in den bis­her ver­öf­fent­lich­ten Biografien er­läu­tert und bewertet wer­den. Ein interessantes kul­tur­his­to­ri­sches Werk, das mit ei­ner um­fang­rei­chen Bib­lio­gra­phie so­wie einem Per­so­nen­re­gis­ter aus­ge­stat­tet ist.

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11. Januar 2024

Biographisches

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