Kassiber | |||||
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Thomas Freller Das 18. Jahrhundert gilt gemeinhin als das der Aufklärung und Vernunft. Und gleichzeitig hat es selten derart viele erfolgreiche Scharlatane und obskure Betrüger gegeben, die bis in die Spitzen der Gesellschaft ihr Unwesen treiben konnten. Orientierungslosigkeit in einer sich verändernden Welt begünstigte die Karrieren von Wunderheilern, Alchemisten und Geheimbündlern. Randfiguren der Gesellschaft werden in Positionen gespült, die unter anderen Umständen kaum vorstellbar wären. Während in den literarischen Salons der rationale Diskurs gepflegt wird, bildet sich im Bereich zwischen Wissenschaft und Magie ein Markt, der von einigen charismatischen Gestalten exzessiv bedient wird. Zu ihnen zählen Cagliostro, der Graf von Saint-Germain und Giuseppe Vella, der mit seinen Übersetzungen zur arabischen Geschichte Siziliens und dem Codex Martinianus eine Reputation erlangte, die sich am Ende als auf Fälschungen basierend erwies. Die Biografie des Grafen von Saint-Germain (ca. 1710 – 1784), alias Graf Welldone, alias Fürst Rakoy usw. ist nicht eindeutig zu fassen. Er tritt in die Geschichte als fertige Gestalt, alles davor bleibt nebulös. Ist es überhaupt immer die selbe Person, die in den Überlieferungen ihre wundersamen Fähigkeiten an den europäischen Höfen vorstellt und lukrativ zu verwerten sucht? Oder gibt es Trittbrettfahrer, die sich seines Namens und Rufs bedienen, um selbst ein Stück des Kuchens abzubekommen; auch das ist nicht einwandfrei zu klären. Thomas Freller verfolgt einige dieser Spuren ohne abschließendes Ergebnis. Neben den außerordentlichen musikalischen Fähigkeiten, die dem Grafen bescheinigt wurden, waren es vor allem seine Versuche, mit neuartigen Farben eine wirtschaftliche Basis aufzubauen, für die er Geldgeber suchte und immer wieder auch fand. Über sein Alter wurde spekuliert, er berichtete von Ereignissen, die seit hunderten von Jahren vergangen waren in einer Art, als wäre er unmittelbarer Augenzeuge gewesen. Seine Kenntnisse auf nahezu allen Wissensgebieten waren enorm, seine Gesprächspartner an den Höfen des europäischen Adels waren begeistert und spendabel. Gerne trat er auch als Heiler mit selbst gemischten Pulvern und Salben auf, mehrmals richtete er Labore ein, um alchemistische Experimente durchzuführen, die Erfolge blieben überschaubar. Als er sich in die politischen Geschicke Frankreichs unter Ludwig XV einmischte, musste er fliehen und begann Karrieren als vermeintlicher Freimaurer und Rosenkreuzer. Sein letzter Mäzen, Karl von Hessen-Kassel, selbst Gründer mehrerer Freimaurerlogen, richtete ihm abermals ein Alchemistenlabor ein und finanzierte die Gründung einer Seidenfabrik, in der Saint-Germain wieder mit seinen neuartigen Farben experimentieren konnte. Wenige Jahre später starb er ebendort. Alessandro Graf von Cagliostro (1743 – 1795), der als der Kleinkriminelle Giuseppe Balsamo seine Karriere in Palermo begann, schaffte es bis an die höchsten Kreise seiner Zeit, wo er die Kunst der Veredelung von Juwelen, diverse Heil- und Verjüngungsmittel, okkulte Erkenntnisse unterschiedlichster Art und die Gründung eines neuen Zweigs der Freimaurerei (der "ägyptischen") anpries und damit seinen aufwändigen Lebensstil finanzierte. Wurden die Verdachtsmomente gegen seine Künste zu groß, wechselte er den Standort, seine Reisen führten ihn quer durch Europa bis an den Zarenhof in St. Petersburg und von dort weiter über diverse Zwischenstationen (in Frankreich geriet er in die Turbulenzen um die "Halsbandaffaire") bis nach Rom, wo er 1789 festgenommen und der Römischen Inquisition überstellt wurde. Ein umfangreiches "Geständnis", in dem er die kirchlichen Anschuldigungen gegen die Freimaurerei bestätigte, verschonte ihn vor der Todesstrafe, zu der er – unter anderem – wegen Häresie verurteilt worden war. Die letzten 6 Jahre seines Lebens verbrachte er in der Engelsburg und einer Festung in San Leo, wo er nach 2 Schlaganfällen starb. Giuseppe Vella (1749 – 1814), geboren und aufgewachsen auf Malta, wechselte als Kaplan nach Sizilien, wo er Muhammad Ibn Uthman, dem Gesandten des Königs von Marokko begegnete, was seinem Leben einen neuen Verlauf gab. Der Gesandte interessierte sich für die arabische Geschichte Siziliens, die bis dato kaum erforscht war. Vella, der des Arabischen gar nicht mächtig war, dessen maltesische Sprache aber damit verwandt ist, begann sich in die Thematik einzuarbeiten und entdeckte bald eine Anzahl von arabischen Schriften, die diese historische Leerstelle füllen sollten. Seine Übersetzungen verschafften ihm internationales Renommee. Inzwischen zum Abt befördert, entdeckte Vella siebzehn verlorene Bücher des Livius und die Korrespondenz zwischen den normannischen Herrschern Siziliens und den Kalifen in Kairo, die die zu der Zeit praktizierten Herrschaftsrechte aus historischen Gründen in Frage stellten. Er geriet zwischen die Fronten, seine Veröffentlichungen erregten zunehmend den Verdacht der Fälschung, ehemalige und mächtige Unterstützer wendeten sich von ihm ab und wurden zu Gegnern. Es kam zu einem langwierigen Prozess gegen Vella, an dessen Ende eine Verurteilung zu 15 Jahren Kerkerhaft, der Entzug der Abtswürde und die Einziehung seiner Güter stand. Interessanterweise ist Vellas "Geschichte der Araber in Sizilien und Sizilien unter der Herrschaft der Araber" in neuer Auflage im aktuellen Buchhandel erhältlich. Thomas Freller (*1964) gilt als Spezialist für die Geschichte des Mittelmeerraums und ist als Dozent an der University of Malta, Lektor und Publizist tätig. Sein hier besprochenes Buch lehnt sich eng an die historischen Quellen, wobei die Widersprüche in den bisher veröffentlichten Biografien erläutert und bewertet werden. Ein interessantes kulturhistorisches Werk, das mit einer umfangreichen Bibliographie sowie einem Personenregister ausgestattet ist. ---------------------------- 11. Januar 2024 |
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