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Nicholas Clapp: Die Stadt der Düfte Nicholas Clapp
Die Stadt der Düfte.
Auf der Suche nach dem Atlantis der Wüs­te.
Rütten & Loening 1999, 375 Sei­ten
ISBN 3-352-00624-5

Der Dokumentar­fil­mer Ni­cho­las Clapp [1] be­kommt von sei­ner Buch­händ­le­rin ein Buch emp­foh­len (Bert­ram Tho­mas: Ara­bia Fe­lix [2]), das sei­nem Faible für die Wei­ten der ara­bi­schen Wüs­ten ent­spricht. Be­dui­nen haben Tho­mas von ei­ner "ver­lo­re­nen Stadt" berichtet, die, als Stra­fe für den sündigen Le­bens­wan­del ih­rer Bewohner – dem Volk der Ad [3] –, durch den Zorn Gottes vernichtet wor­den ist. Die Stadt soll un­er­mess­lich reich gewesen sein, T.E. Lawrence [4] nann­te sie das "Atlantis der Wüste". Doch die Be­woh­ner miss­ach­ten die Warnungen und Pro­phe­zei­un­gen des Pro­phe­ten Hud [5] und so lässt Gott die Stadt zur Strafe im Wüs­ten­sand ver­sin­ken.

Ubar, so der Name der Stadt, wird zu einer Ob­ses­si­on für Clapp. Er forscht jahre­lang nach Quel­len, sich­tet antike Land­kar­ten, liest Reise­be­schrei­bun­gen, Mythen und Über­lie­fe­run­gen und stößt im­mer wie­der (auch im Ko­ran, dort als Iram be­zeich­net [6]) auf Beschrei­bungen, die sich auf Ubar be­zie­hen kön­nen. Er lo­ka­li­siert den Ort im heutigen Oman, in der Wüs­te Rub' al-Khali (über­setzt "Das lee­re Vier­tel"), der größten Sand­wüs­te der Welt [7]. Sein En­thu­si­as­mus lässt ihn eine Grup­pe von In­ter­es­sen­ten ver­sam­meln, die bereit sind, das nö­ti­ge Geld aufzutreiben und mit ihm in der Wüste nach Res­ten des sa­gen­haf­ten Or­tes zu su­chen.

Mithilfe von Satellitenbildern [8], die Fluss­ver­läufe und Ver­wer­fun­gen aus einer Zeit an­zei­gen, als die­se Ge­gend noch frucht­bar war und ein re­ger Ka­ra­wa­nen­ver­kehr ent­spre­chen­de Spuren hinter­las­sen hat, gelingt es dem Team, das Gebiet ein­zu­gren­zen.

In Begleitung eines Archäo­lo­gen (Juri Zarins [9]) su­chen sie die markanten topo­gra­phi­schen Punkte auf, an de­nen sie sich Hin­wei­se er­hof­fen, die sie zum Ziel führen kön­nen. Sie wis­sen, dass Ubar ein Um­schlag­platz für den be­gehr­ten Weih­rauch ge­we­sen ist, der von dort aus den lan­gen Weg in die rest­li­che ara­bische Welt und da­rü­ber hi­naus ge­fun­den hat. Doch es sind mehrere Ex­pe­ditionen nö­tig, bis sie schließ­lich in der Nä­he von Shisur, wo sie ur­sprüng­lich ihr Ba­sis­la­ger auf­schla­gen woll­ten, auf die Ru­i­nen einer zum Teil ver­sun­ke­nen Ka­ra­wan­se­rei sto­ßen, die sie als Ubar iden­ti­fi­zie­ren. In akri­bi­scher und lange wäh­render Arbeit legen sie Au­ßen­mau­ern frei, die mit meh­re­ren Türmen be­wehrt waren, stoßen auf die Über­reste eines Weih­rauch­mark­tes und können belegen, dass der Ort we­sent­lich älter als bislang vermutet ist. Zwi­schen 300 und 500 nach unserer Zeit­rechnung ereig­nete sich dann die Ka­ta­stro­phe. Der Grund­was­ser­spie­gel sank auf­grund des damaligen Klima­wandels, der Felsen, der der gro­ßen Wehr­anlage die Sta­bi­li­tät ver­lie­hen hatte, stürzte in einen ent­stan­de­nen Hohl­raum, mit ihm etwa die Hälfte der Be­fes­ti­gung und des Ortes. Die Stadt war über Nacht ver­nich­tet.

Das Buch wird durch drei um­fangreiche Teile struk­tu­riert. Der ers­te Teil befasst sich im Wesent­lichen mit den My­then und his­to­ri­schen Quel­len und be­schreibt Clapps Re­cher­chen da­zu. Der zwei­te Teil ist den Expe­ditionen gewidmet, den Vor­be­rei­tun­gen und der Durch­führung. Im dritten Teil wird dann Clapps Theorie zur Geschichte der Stadt Ubar, wieder mit Be­zug auf Quel­len und Mythen, dar­ge­legt. Eine um­fang­rei­che Bi­blio­gra­phie be­schließt das Buch.

Viele der Schlussfolgerungen er­schei­nen mir spe­ku­la­tiv, und die Iden­ti­fi­zie­rung der im Koran als ver­sun­ke­ne Stadt be­zeich­ne­ten Iram (Stadt der Säu­len; die Säulen werden bei Clapp zu den Wehr­tür­men) mit Ubar ist ziemlich um­stritten. Der Stil ist hin und wieder etwas flapsig (man­che ver­glei­chen Clapp mit Indiana Jones), dennoch emp­fand ich die Lektüre im Großen und Ganzen als in­ter­es­sant und lehr­reich.

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1. *1936, mehrfach ausge­zeich­neter US-ameri­kanischer Do­ku­men­tar­fil­mer, Autor und Ama­teur­archäologe. Ein wei­te­rer Titel in deut­scher Über­setzung: Die Kö­ni­gin von Saba (Rütten & Loening 2002)

2. Bertram Sidney Thomas (1892 – 1050) war ein eng­li­scher Dip­lo­mat, der 1930/31 die Wüste durch­quert hat­te. Arabia Felix be­schreibt diese Expedition, das Buch er­schien 1932.

3. Laut dem Koran waren sie die Nachkommen von Ad, ei­nem Groß­enkel von Sem, einem Sohn Noahs.

4. Bekannt als Lawrence von Ara­bien.

5. Hud soll der erste Prophet nach der Sintflut gewesen sein. Er ge­hör­te dem Volk der Ad an, das er immer wie­der ermahnte, zum wah­ren Glauben zurück­zufinden. Im Je­men soll seine Grabstätte liegen, zu der all­jähr­liche Pil­ger­fahr­ten statt­finden.

6. Sure 89, Vers 6-8.

7. Die Fläche der Wüste beträgt ca. 680.000 Qua­drat­ki­lo­me­ter, der größ­te Teil davon sind Sand­dünen, die bis zu 300 Meter hoch wer­den können.

8. "In achtzehn Monaten soll­te ei­ne Raumfähre, aus­ge­rüs­tet mit dem Ra­dar-Bild-System SIR-B (Shuttle Ima­ging Radar B) los­ge­schickt wer­den, um aus­ge­wähl­te Ge­bie­te bildlich zu er­fas­sen. Das Gerät funk­tio­nier­te, in­dem es Mikrowellen aussen­dete und deren Re­so­nan­zen auf­zeich­ne­te. Der Radar konnte sogar durch dichte Be­wöl­kung, Blatt­werk und Sand «hindurch­sehen» und so­mit natürliche wie vom Men­schen geschaffene Phä­no­me­ne zutage bringen, die der Welt bis­her verborgen ge­blie­ben waren." S. 70. Wegen tech­ni­scher De­fek­te wäh­rend des Flu­ges sind die ent­stan­de­nen Auf­nahmen al­ler­dings von schlechterer Qualität als erhofft. Später lie­fer­te das fran­zö­si­sche Satelliten­system SPOT (Système Pro­ba­toire d'Ob­ser­vation de la Terre) er­heb­lich bessere Bil­der.

9. Zarins war archäologischer Be­ra­ter der An­ti­ken­be­hör­de Sau­di-Ara­biens und lehrte an der Missouri State Uni­ver­sity.

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18. August 2020

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