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Jobst C. Knigge: Feltrinelli Sein Weg in den Terrorismus Jobst C. Knigge
Feltrinelli – Sein Weg in den Ter­ro­ris­mus
Humboldt Universität Berlin 2010, 155 Sei­ten

Giangiacomo Feltri­nel­li (1926 – 1972) ent­stamm­te ei­ner der reichs­ten Fa­mi­lien Ita­liens [1]. Er und sei­ne Schwes­ter An­to­nel­la wuch­sen in lu­xu­riö­ser Um­ge­bung mit deut­schen Gou­ver­nan­ten und Haus­leh­rern (die Un­ter­richts­spra­che war eben­falls deutsch, wie es übri­gens auch die Fa­mi­lien­spra­che der Groß­el­tern ge­we­sen war) auf. Für kur­ze Zeit war er Mit­glied der fa­schis­ti­schen Ju­gend­be­we­gung, sym­pa­thi­sier­te aber we­nig spä­ter schon mit den Par­ti­sa­nen und trat im März 1945 in die Kom­mu­nis­ti­sche Par­tei Ita­liens (PCI) ein. Ein Stu­dium der In­ge­nieur­wis­sen­schaft brach er ab und war dann vor al­lem für das Ver­lags­we­sen der PCI tä­tig. 1955 grün­de­te er in Mai­land sei­nen ei­ge­nen Ver­lag.

Der Einmarsch der Ro­ten Ar­mee in Un­garn 1956 und der aus­blei­ben­de Pro­test der PCI da­ge­gen ent­frem­dete ihn nach­hal­tig von der Par­tei, er stell­te sei­ne nicht un­be­trächt­li­chen Zah­lun­gen ein.

Im selben Jahr schmug­gel­te er das Manuskript des "Dok­tor Schi­wa­go" nach Ita­lien [2] und ver­öf­fent­lichte es ge­gen den Druck der PCI 1957, es wur­de ein erster Ver­kaufs­er­folg. Ein Jahr spä­ter dann "Il Gatto­par­do" vom To­ma­si di Lam­pe­du­sa [3]. Der Verlag hat­te Welt­gel­tung erlangt.

Che Guevara

Ab 1959 immer wie­der Rei­sen nach Cu­ba und Süd­ame­ri­ka, ei­ne Freund­schaft mit Fi­del Cas­tro ent­stand. Im Ver­lags­pro­gramm er­schie­nen nun zu­neh­mend Ti­tel, die sich mit den Be­frei­ungs­be­we­gun­gen in Süd­ame­ri­ka und Af­ri­ka be­schäf­ti­gen. Nach dem Tod Che Gue­va­ras 1967 wur­den des­sen "Bo­li­via­ni­sche Tage­bü­cher" eben­falls bei Fel­tri­nelli ver­öf­fent­licht, der übri­gens auch das iko­nen­haf­te Pos­ter, das heu­te welt­weit für Che steht, in gro­ßer Auf­la­ge ver­brei­ten ließ. 1968 er­klär­te Fel­tri­nel­li auf ei­ner Kon­fe­renz in Cu­ba, an der auch Hans Mag­nus En­zens­ber­ger teil­nahm, dass er sich fort­an nur noch als anti­im­pe­ria­lis­ti­schen Kämp­fer ver­ste­hen wür­de, sein Ver­le­ger­da­sein wä­re be­en­det.

Bei mehreren Auf­ent­hal­ten in Süd­ame­ri­ka nahm er Kon­takt zu dor­ti­gen Gue­ril­la­grup­pen auf, die Tu­pa­ma­ros in Uru­guay, die sich als Stadt­gue­ril­la ver­stan­den, wur­den zu ei­ner Art Vorbild für seine ei­ge­ne po­li­ti­sche Zu­kunft. Er trat in Verbindung mit se­pa­ra­tis­ti­schen Bewe­gun­gen auf Sar­dinien, bot Geld und Waf­fen an. Die Stu­den­ten­be­we­gung Ende der 60er Jahre bot ihm weitere Per­spek­ti­ven, er lernte Rudi Dutsch­ke kennen und trans­por­tier­te meh­re­re Stan­gen Dynamit nach Ber­lin, um da­mit amerikanische Zie­le an­zu­grei­fen, die un­mit­tel­bar für den Nachschub mili­tä­ri­schen Materials nach Viet­nam zu­stän­dig waren. Der Spreng­stoff kam jedoch nie zum Ein­satz.

Im April 1969 ex­plo­dier­ten in Mailand zwei Bom­ben, die, wie sich später herausstellen soll­te, von Rechts­ra­di­ka­len ge­legt wor­den waren. Aber zu­erst richtete sich der Ver­dacht ge­gen links und auch ge­gen Feltrinelli wurde er­mit­telt [4]. Die Si­tua­ti­on in Italien es­ka­lier­te, im De­zem­ber kam es er­neut zu An­schlä­gen, bei de­nen 16 Men­schen zu Tode ka­men. Wieder wur­de die Lin­ke ver­däch­tigt [5], wie­der wird sich später zei­gen, dass es fa­schis­ti­sche Kräfte waren, die Italien de­sta­bi­li­sie­ren woll­ten, um damit einen Staats­streich vor­zu­be­rei­ten [6]. Für Fel­tri­nel­li be­deu­te­te das, nicht mehr nur als Geld­ge­ber und Waffen­lie­fe­rant ak­tiv zu sein, jetzt wollte er selbst kämp­fen. Zu­mal eine öffentliche Kam­pag­ne gegen ihn lief, die ihn eine Ver­haf­tung be­fürch­ten ließ. Er tauch­te ab und grün­de­te die GAP (Gruppi d'Azione Par­ti­gia­ni), die sich vor­erst auf klei­ne­re An­schlä­ge und il­le­ga­le Ra­dio­sen­der be­schränk­te. Kon­spi­ra­ti­ve Woh­nun­gen wurden ge­kauft, um ver­folg­ten Kämp­fern Unter­schlupf bieten zu kön­nen, Bro­schü­ren und Flug­blät­ter sollten die Ziele der GAP ver­brei­ten.

Feltrinelli hielt aber auch Kon­takt zu den anderen le­ga­len und il­le­ga­len Organisationen, die sich in die­ser Zeit in Ita­lien ge­bil­det hat­ten. Sein Ziel war eine Art Ge­ne­ral­stab aller re­vo­lu­tio­nä­ren Kräf­te, der die Aktionen ko­or­di­nie­ren sollte.

Am 1. April 1971 er­schoss Mo­ni­ka Ertl [7] in Ham­burg den bo­li­via­ni­schen Konsul Ro­ber­to Quin­tanilla, der zu­vor Chef des bo­li­via­ni­schen Ge­heim­diens­tes ge­we­sen war und sich neben der Leiche Che Gue­va­ras hat­te fo­to­gra­fie­ren las­sen. Fi­nan­ziert war das Atten­tat von Fel­tri­nel­li, aus des­sen Pis­to­le auch die töd­li­chen Schüs­se ab­ge­ge­ben wor­den wa­ren. Trotz­dem ihn die deut­sche Po­li­zei zur Fahn­dung aus­ge­schrie­ben hat­te, konn­te sich Fel­tri­nel­li wei­ter durch Europa be­we­gen und wei­ter sei­nen Aktivitäten nach­ge­hen. Es gab heimliche Tref­fen mit Ver­lags­mit­ar­bei­tern, seiner Fa­mi­lie und An­ge­hö­ri­gen an­de­rer kämp­fen­der Grup­pen. Sein pri­va­tes Um­feld ver­such­te ihn da­zu zu be­we­gen, sich zu stel­len, was Fel­tri­nel­li je­doch ka­te­go­risch aus­schloss. Statt­des­sen plan­te er für den 14. März 1972 ei­nen An­schlag auf ei­nen Strom­mast in der Nähe von Mailand (Segrate), den er selbst mit einigen Mit­kämp­fern aus der GAP ausführen woll­te. Da­bei kam es zu einer un­kon­trol­lier­ten Ex­plo­sion, die Fel­tri­nelli so schwer ver­letz­te, dass er we­nig spä­ter dort ver­blu­te­te.

Nicht wenige dach­ten da­mals, dass Feltrinelli selbst Op­fer ei­nes An­schlags ge­wor­den ist, den ita­li­e­nische Rech­te und/­oder die CIA aus­ge­führt hät­ten. Und auch vie­le Jahre danach hal­ten sich ent­spre­chende Ver­dachts­mo­men­te, die dem of­fi­ziel­len Ergebnis der Un­ter­su­chung, wo­nach es sich um einen Un­fall ge­han­delt hat­te, miss­trauen. So auch Fritz J. Rad­datz, der Fel­tri­nel­li vie­le Jah­re kann­te [8], in "Un­ru­he­stif­ter", in dem er ihm ein gan­zes Ka­pi­tel wid­met. [9]

Knigge zieht das Re­sü­mee, dass Feltrinelli, der sich am En­de des Krieges nicht mehr an dem Kampf der Par­ti­sa­nen ge­gen Fa­schis­mus und die deut­sche Wehr­macht be­tei­li­gen konn­te, das als einen Man­gel empfunden hat, den er unbe­dingt durch sein En­ga­ge­ment in re­vo­lu­tio­nä­ren Be­we­gun­gen kom­pen­sie­ren woll­te. Dass er durch sei­ne abge­schottete Kindheit eine Ein­sam­keit in sich trug, die er immer wieder über­winden woll­te, was ihm aber nie ge­lun­gen ist. Weder in der Fa­mi­lie, noch in sei­nen vier Ehen und auch nicht in den re­vo­lutionären Grup­pen, zu de­nen er Kon­takt hat­te. Dass er ein Ein­zel­gän­ger ge­we­sen ist, der zwangsläufig schei­tern muss­te.

Der Text schließt mit einem mehr­sei­ti­gen Li­te­ra­tur­ver­zeich­nis und einem hilf­rei­chen Per­so­nen­re­gis­ter.

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1. Die Feltrinellis stammen aus Gargnano am Gar­da­see und be­grün­de­ten ihren Reich­tum durch Holz­han­del und Be­tei­li­gun­gen an ver­schie­de­nen eu­ro­pä­ischen Ei­sen­bahn­ge­sell­schaf­ten. Mit der Zeit er­wei­ter­ten sie ih­ren Be­tä­ti­gungs­bereich und schu­fen das Imperium, das Gian­gia­como ei­nes Tages er­ben sollte.

2. Boris Pasternak reichte 1956 sei­nen nach 10 Jah­ren fertig ge­stell­ten Roman Doktor Schi­wago bei der Li­te­ra­tur­zeitschrift Nowy Mir ein, doch er wird aus ideo­logischen Gründen ab­ge­lehnt. Wenig spä­ter er­scheint Sergio D'Angelo, Feltri­nel­lis Li­te­ra­tur­agent in der Sow­jet­union und Mit­ar­bei­ter der ita­li­e­ni­schen Ab­tei­lung von Radio Mos­kau, bei Pasternak, der ihm das Ma­nu­skript übergibt. D'An­ge­lo reicht es eine Woche spä­ter an Fel­tri­nel­li weiter, der sich zu der Zeit in West­ber­lin aufhält. Auf dem Weg nach Mailand wird das Ma­nu­skript von Mitarbeitern des CIA ko­piert und er­scheint in einer russisch­spra­chi­gen Aus­ga­be we­nig spä­ter im nie­der­län­di­schen Ver­lag Mouton. Die ita­lie­nische Ausgabe erscheint trotz heftiger Wider­stände aus der PCI und Einwänden des sowje­tischen Schrift­stel­ler­ver­ban­des im fol­gen­den Jahr. 1958 wird Pas­ter­nak der Nobelpreis für Li­te­ra­tur ver­lie­hen, den er aber – unter großem Druck der sow­je­tischen Macht­ha­ber ste­hend – ablehnt. Er stirbt 1960 an ei­nem Herz­in­farkt. Derweil hat­te die CIA auf der Welt­aus­stel­lung in Brüs­sel (1958) dafür ge­sorgt, dass russische Aus­ga­ben des Buches im Pa­vil­lon des Va­ti­kans bereit lie­gen, um von rus­si­schen Be­su­chern mit in die Heimat ge­nom­men zu wer­den; Literatur im Kampf der Ideo­lo­gien wäh­rend des Kalten Kriegs.

3. Il Gattopardo erscheint in deut­scher Über­setzung zu­erst 1959 un­ter dem Titel Der Leopard bei Pi­per. 2004 in neuer Über­set­zung mit dem Titel Der Gatto­par­do und 2019, wieder in an­de­rer Über­setzung, er­neut als Der Leopard.

4. Am 25. April 1969 detoniert ei­ne Bombe am Mes­se­pa­villon von Fiat, ei­ne weitere an einer Wech­sel­stu­be am Haupt­bahn­hof. Dut­zen­de werden verletzt. Der of­fi­zielle Ver­dacht richtet sich gegen Anar­chis­ten, es kommt zu Fest­nah­men.

5. Am 12. Dezember 1969 ex­plodiert vor der Banca Nazio­nale dell'Agricoltura auf der Piazza Fontana eine Bom­be, die 16 Men­schen tötet und anderen schwere Ver­letzungen zu­fügt. Eine weitere Bom­be kann vor der Explosion un­schäd­lich gemacht wer­den. Auch in Rom kommt es zeit­gleich zu An­schlä­gen. Etwa 300 Anar­chisten wer­den fest­ge­nommen. Un­ter ihnen Giu­seppe Pi­nel­li, der während ei­nes Ver­hörs im Po­li­zei­prä­si­dium aus einem Fenster im 4. Stock zu To­de stürzt. Tatsächlich waren die An­schlä­ge von ita­lie­ni­schen Fa­schis­ten durchgeführt worden, die in Ver­bin­dung mit in- und aus­län­di­schen Geheimdiensten stan­den.

6. In den 80er Jahren wur­de be­kannt, dass die Ge­heim­lo­ge P2 (Pro­pa­gan­da Due) durch ein Zusammen­wir­ken von Führungs­kräften aus Mi­li­tär, Polizei, Wirt­schaft, Politik, Geheim­diensten und der Mafia ein ge­hei­mes Netz­werk zur Ergrei­fung der Macht durch ei­nen Staats­streich be­trie­ben hat.

7. Monika Ertls (1937 – 1973) Va­ter war zeitweilig Leni Rie­fen­stahls Chef­ka­me­ra­mann. 1948 wan­der­te er mit der Familie nach Bo­li­vien aus. Monika schloss sich in den späten 60er Jahren der ELN (Ejercito de Libe­racion Nacional) an und kam dadurch in Kon­takt mit den Guerilleros, die in Che Guevaras Grup­pe ge­kämpft hat­ten. Nach­dem ihr Auto im Zusam­men­hang mit ei­nem Bank­überfall iden­ti­fi­ziert worden war, wurde sie in Bo­li­vien zur Fahndung aus­ge­schrie­ben. 1972 ver­such­te sie er­folg­los, ge­mein­sam mit Regis Debray, den ehe­ma­li­gen Gesta­po-Chef von Lyon und ver­ur­teil­ten Kriegs­ver­bre­cher, Klaus Bar­bie, zu entführen, um ihn in Frankreich vor Gericht stel­len zu können. Barbie ar­bei­te­te für das bolivianische In­nen­mi­nis­te­rium und für den Deut­schen Bundes­nachrichten­dienst (BND). 1973 wur­de Monika Ertl von boli­via­nischen Sicher­heits­kräf­ten er­schos­sen.

8. Raddatz lernte Feltrinelli in den frühen fünfziger Jah­ren in Ost­ber­lin ken­nen.

9. "Der mysteriöse Tod des in­zwischen legendären Mai­län­der Ver­le­gers, Mil­liar­därs und Ex­kom­mu­nis­ten, war eine Cause fa­meuse nicht nur der ita­lie­ni­schen In­nen­po­li­tik – die Beileids­tele­gramme gli­chen ge­ra­de­zu ei­nem Verlagskatalog: Wosnes­senski und Lawrence Dur­rell, Garcia Marquez und Hans Magnus En­zens­berger waren die Ab­sen­der, Carlo Levi, Alberto Moravia, Regis Debray. Sie gal­ten dem in ei­nem ne­bu­lösen Untergrund ab­ge­tauchten Ver­leger, des­sen Lei­che schließ­lich halb zerfetzt unter einem Hoch­span­nungs­mast in der Um­ge­bung von Mailand auf­ge­fun­den wurde; in offiziellen Ver­laut­ba­run­gen hieß es, der unerfahrene Einzel­täter habe versucht, die Hoch­span­nungs­lei­tung zu spren­gen, und sei beim »un­ge­schick­ten Han­tie­ren« mit Dynamit ums Leben ge­kom­men.
In meinem Nachruf, der im April 1972 im SPIEGEL er­schien, hob ich das Rätselhafte dieses Todes hervor, den viele heute noch einen Mord nennen:
»Wieso wird dem "Ein­zel­tä­ter" beim ungeschickten Han­tie­ren mit Dy­na­mit der Un­ter­leib ab­ge­ris­sen; wie­so fand sich drei Tage nicht die Bril­le des extrem Kurz­sich­ti­gen; wieso fan­den sich Chloro­formspuren im Urin; wieso stellte aber die Magen­unter­suchung fest: nichts ge­ges­sen seit ei­nem Tag; wieso sind die Schlüs­sel zu dem Wa­gen, der am »Tatort« stand, nie ge­fun­den worden? Schwer­ste Bedenk­lich­keit, für den Laien nahezu ali­bi­haft: Feltrinelli war am nächsten Mitt­woch mit seiner dritten Frau Inge, ihrem zehn­jäh­ri­gen Sohn Carlo und zwei No­ta­ren zu einem – heim­li­chen – Treffen in der Schweiz ver­ab­re­det.«" S. 236f

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25. August 2020

Biographisches

Geschichte

Peter Finn / Petra Couvée: Die Affäre Schi­wa­go

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