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Antonio Tabucchi: Erklärt Pereira Antonio Tabucchi
Erklärt Pereira. Eine Zeu­gen­aus­sa­ge
Deutsch von Karin Fleischan­derl
Deut­scher Taschen­buch Ver­lag 1997

Der italienische Autor und Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft­ler Tabuc­chi hat ei­ne Af­fi­ni­tät zu Por­tu­gal und der por­tu­gie­si­schen Li­te­ra­tur. Sein le­sens­wer­tes Buch über Pessoa [1] hat mich auf ihn auf­merk­sam ge­macht. Der Ro­man "Erklärt Pe­rei­ra" spielt eben­falls in Por­tu­gal, Sa­la­zar ist an der Macht, im be­nach­bar­ten Spa­nien ist der Bür­ger­krieg noch nicht ent­schie­den, die fran­quis­ti­schen Trup­pen wer­den un­ter­stützt von Ita­lien, Deutsch­land und eben Por­tu­gal, in dem sich ei­ne Op­po­si­tion ge­gen das au­to­ri­tä­re Re­gime Sa­la­zars or­ga­ni­siert.

Pereira, die Hauptperson, ist Re­dak­teur einer kleinen ka­tho­li­schen Abend­zeitung, der für den Feuilletonteil ver­ant­wort­lich ist, der einmal in der Wo­che, sams­tags, erscheint. Er lernt ei­nen jungen Mann ken­nen, den er gerne Nach­rufe auf noch le­ben­de Au­to­ren schrei­ben las­sen würde, die aber alle politisch viel zu radikal for­mu­liert sind, um ge­druckt zu wer­den. Der Re­dak­teur ist po­li­tisch des­in­te­res­siert und möch­te auch nicht in Konflikt mit der Re­gie­rung ge­ra­ten, wird aber im­mer mehr in Sympathie und An­teil­nah­me zu dem jun­gen Mann ge­zo­gen, der of­fen­sicht­lich einer ra­di­ka­len Op­po­si­ti­ons­grup­pe an­ge­hört und in Schwie­rig­kei­ten ge­rät. Er un­ter­stützt ihn fi­nan­ziell und un­merk­lich ver­än­dert sich sei­ne Position, nicht nur den po­li­ti­schen Ver­hält­nis­sen ge­gen­über, auch zu seiner ei­ge­nen Biographie. Er hin­ter­fragt den Sinn und die Nütz­lich­keit sei­ner Exis­tenz, stellt die Do­mi­nanz sei­nes li­te­ra­ri­schen En­ga­ge­ments in Frage, gerät also in eine Krise, die nicht nur per­sön­li­cher Natur ist, sondern auch die Situation von In­tel­lek­tu­el­len reflektiert, die sich po­li­ti­scher Ver­ant­wor­tung ent­zie­hen wol­len.

Der junge Mann sucht Un­ter­schlupf bei ihm, und bald ste­hen drei Mit­ar­bei­ter des Ge­heim­diens­tes vor der Tür, de­mü­ti­gen Pereira und er­schla­gen den Ge­such­ten während ei­nes Ver­hörs. Pereira schreibt ei­nen letzten Artikel für die Zei­tung, in dem er die Ge­scheh­nis­se detailliert be­schreibt und die Tä­ter beim Na­men nennt. Durch ge­schick­te Umgehung der Zen­sur ge­lingt es ihm, den Ar­ti­kel auch drucken zu lassen. Noch be­vor die Ausgabe er­scheint setzt er sich nach Frank­reich ab.

Neben vielen Be­zü­gen zur por­tu­gie­si­schen und fran­zö­si­schen Li­te­ra­tur gelingt Ta­buc­chi ein differenziertes Por­trät von Pereira und den Um­stän­den der damaligen Zeit. Der Kon­flikt, den Men­schen zu al­len Zeiten erleben zwischen Ge­wis­sens­ent­schei­dun­gen und der Furcht vor Re­pres­sa­lien wird ein­fühl­sam ent­wi­ckelt.

Auf dem Einband des Ta­schen­buchs ist eine Sze­ne aus der Ver­fil­mung des Ro­mans zu se­hen. Haupt­dar­steller war da­mals Marcello Mastroianni. Ich hatte eher Philippe Noiret wäh­rend der Lektüre vor Au­gen.

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1. Antonio Tabucchi: Wer war Fernando Pessoa? Hanser 1992

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24. Juli 2016

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